
Ich war frei. Kein Käfig, kein Hals-Ding, da hab ich schnell gelernt, halbwegs passabel übers Gelände zu hoppeln. Dort, im Shelter, lebten viele, sehr viele von uns. Große, Kleine, Dicke, Dünne, Alte, Junge, Nette und Doofe. Ein paar Katzen gab es auch. Die waren mir aber erst mal egal. Ich musste lieber zusehen, dass ich mit den Artgenossen klarkam. Immerhin war ich ein Welpe, und ein paar von den Alten waren schon recht streng mit mir. Heute weiß ich, dass das Beste war, was mir passieren konnte. Weil ich so ein für alle Mal gelernt hab, wie man sich in Gesellschaft benimmt.
Wir hatten einen großen Innenhof, nichts Besonderes, Hitze, staubiger Boden und ein paar Hütten. Die waren schattig und sehr begehrt, einer wie ich durfte da selten rein. Dafür hätte ich kämpfen müssen. So gar nicht mein Ding, schließlich war ich ein dreibeiniges Hundekind, das von Natur aus freundlich ist. Also stand ich meistens staunend rum und hab aufs Essen gewartet. Oh, Essen! Leider gab es nie genug.
Ich war zufrieden mit meinem neuen Leben, an mein altes konnte ich mich ohnehin nicht erinnern. War bestimmt auch besser so, denn wenn man mit einem zertrümmertem Beinchen in einer Mülltonne landet, ist das nichts, worüber man nachdenken will. Dass das so war, weiß ich, weil Vesna es mir erzählt hat. Und weil sie mich, der Einfachheit halber, auch gleich Mülltonne genannt hat. Vielleicht nicht der beste Name, aber immerhin ein Name. Nicht alle der Artgenossen hatten einen.
Das Allerbeste war, dass ich einer von den Besonderen war. Uns Besonderen fehlte entweder ein Bein, oder die Ohren, oder die Augen, oder wir waren uralt oder sterbenskrank. Deshalb durften wir nachts in ein Zimmer. Dort gab es Körbchen! Genug vor uns alle. Himmlisch! Wenn es geregnet hat, blieben wir trocken, während die Artgenossen triefnass draußen im Dunklen standen.
Ja, und dann, eines Tages, hab ich da was aufgeschnappt. Ich saß auf dem Schoß von Vesna, und die hat mit dem Arzt geredet, der immer mal nach mir geguckt hat. Normalerweise ging es dann um mein Bein – obwohl ich persönlich an das gar nicht mehr gedacht hab – aber heute haben sie über andere Sachen gesprochen: eine Anfrage für mich? Impfungen?? Ein Pass??? Ausreise???? Ein mögliches Zuhause?????
In bin sofort zu meinen Kumpels gerannt, ok, gehumpelt, und hab denen das erzählt. Ich war ja so aufgeregt!

Die Kollegen haben mich ausgelacht. Mülltonne, der Krüppel, und ein Zuhause? No way!
Ich war soo enttäuscht, aber dann hat eine alte Hündin behauptet, dass vor langer Zeit, tatsächlich mal einer von uns Shelter-Hunden ein Zuhause bekommen hatte. Irgend so ein hübscher, junger, wuscheliger. Der war eines Tages plötzlich weg, und man hatte dann auch nie wieder von ihm gehört.
Wie? War es also gut, wenn ich keins bekommen würde? Wenn Zuhause bedeutete, dass man einfach verschwand?
Wieder bin ich ausgelacht worden. Denn, ein paar von uns hatten nämlich schon mal sowas gehabt. So ein Zuhause. Das wär der Himmel auf Erden gewesen. Dort lebte man allein mit seinem Menschen, besaß ein eigenes Körbchen, bekam Dosenfutter, hatte Spielzeuge und durfte Gassi gehen.
Oh, Gott, das wollte ich unbedingt, dafür würde ich gern verschwinden, auch wenn ich nicht so genau wusste, wie sich all das anfühlen würde. Bestimmt unglaublich wundervoll!?
Wieso waren die anderen dort jemals weggegangen? Wieso lebten sie jetzt hier? Nicht, dass es im Shelter schlecht gewesen wär, aber gegen so ein Zuhause?
Da hat einer von uns Besonderen angefangen, zu weinen. Denn ein Zuhause kann man verlieren. Wenn man zum Beispiel krank wird und nutzlos und Geld für den Tierarzt kostet. Dann sehnt man sich für den Rest seines Lebens ins Zuhause zurück. Jede Sekunde. Vergeblich. Wenn man erst ausgesetzt ist, zurückgelassen, warum auch immer, plötzlich ungeliebt ist, wird man zu einer verlorenen Seele und landet hier im Shelter. Bestenfalls.
Von daher konnte ich froh sein, dass ich sowieso kein Zuhause bekommen würde und somit auch nichts zu verlieren hätte. Das hat der Besondere erzählt, und ein paar andere haben dazu gewinselt und genickt.
Ich war aber nicht froh. Ich hab dieses Zuhause nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Wollte es unbedingt! Und ich hatte doch gehört, worüber Vesna mit dem Arzt gesprochen hatte!?
Also hab ich angefangen zu warten. Darauf, dass das Wunder geschehen würde. Ich, Mülltonne, das Dreibein, war gerade mal vier Monate alt und sowas von bereit, es zu beweisen. Allen zu zeigen, was möglich ist, wenn man nur ganz fest daran glaubt!